12 Mai Güneş
Warum ich Hebamme geworden bin
Mein Credo: Stärke die Frauen und du stärkst die ganze Welt!
Ich wollte schon immer etwas Sinnvolles machen auf dieser Welt. Einen Beruf erlernen, bestenfalls im medizinischen Bereich, der mich persönlich weiterbringt und die Welt verbessert. Ich empfinde die Hebammenarbeit als sehr besonders und intensiv. Und für eine bessere Welt müssen Mädchen und Frauen gestärkt werden! Egal wo.
Meinen Werdegang kann ich in Kurzversion so beschreiben: geprägt durch das Beisein bei vielen Tiergeburten, den Geburten der Geschwister als ältestes von vier Kindern. Mein bester Freund schlug mir vor: „Werd doch Hebamme“! Dann fragte ich mich: was genau macht denn eigentlich eine Hebamme und wieso dieser altbackene Name? Durch diese Inspiration suchte ich mir Praktikumsplätze und so machte ich das erste Kreißsaal-Praktikum mit 17 Jahren, wobei ich aufgrund meines Alters noch vom Schichtdienst verschont blieb. Mein zweites Praktikum verbrachte ich mit einer freien Hebamme. Die Hausbesuche blieben mir als sehr ruhig und friedlich im Gedächtnis.
Ich durchlief meine Ausbildung zur Hebamme in Hamburg und bekam den ersehnten Platz beim zweiten Bewerbungsanlauf. Dazwischen habe ich ein Jahr in Finnland verbracht.
Ich erinnere mich noch genau an eine der ersten Geburten während meiner Ausbildungszeit, als das Köpfchen in der Tiefe (so sagt man das bei Hebammen) sichtbar wurde, bei jeder Wehe ein ganz kleines Stückchen mehr sichtbar war und sich dann wieder zurückzog. Ich dachte durchgehend: Alles klar, wie soll das bitte da rauskommen? Das geht niemals! Und es geht doch und dann ist da plötzlich ein komplettes Baby, dabei war es vorher auch da, nur von Haut etc. umgeben.
Das, was mich an Geburt fasziniert, ist, dass in diesem existenziellen Prozess der Mensch einfach nur Mensch ist. Status, Bildungsstand, alles unwichtig, nebensächlich, es zählt nur der Moment und die eigene Kraft. So gleich und doch gleichzeitig so individuell und einzigartig ist die Geburt jedes Menschen.
Die Klinik ist nicht mein Ort. Rückenlage, Machtgerangel und starre Systeme. Viel Angst und Unsicherheit. Vermeintliche Kontrolle über Situationen, die nicht kontrolliert werden können, um sich selbst sicherer zu fühlen, der Situation aber mitunter eher zu schaden. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob das einfach meine eigene Wahrnehmung war. Ich hatte das Gefühl, ausschließlich für die Klinikgeburtshilfe ausgebildet zu werden. Und dort den parallel gleichzeitig zu betreuenden Gebärenden nicht gerecht werden zu können.
Diese Zeit war hart für mich. Ich fragte mich, was ich da eigentlich mache und habe sehr oft überlegt hinzuschmeißen. Meine Vorstellung von Selbstbestimmung und menschenwürdiger Geburtshilfe wurden einfach nicht erfüllt. Ein riesiger Lichtblick war zur Mitte der Ausbildungszeit eine Lerneinheit bei einer langjährigen Hausgeburtshebamme. Sie hat einfach nur von den Geburten, die sie begleitet hat, erzählt und der ganze Kurs hing ihr an den Lippen. Es war so ein Lichtblick für uns alle und ich wusste wieder, warum ich diesen Beruf ursprünglich erlernen wollte. An diese Sequenz habe ich mich oft zurückerinnert, um mir die Richtigkeit und Sinnhaftigkeit wieder vor Augen zu führen.
Auf einer Exkursion ins Nachbarland die Niederlande in der Ausbildungszeit hatte ich ein spannendes Erlebnis. Während wir alle als Klinikhebammen ausgebildet wurden, wurde in Holland Hebammenkunde in einem vierjährigen Studium erlernt. Auf die Frage, in welchem Krankenhaus die uns begleitende Studentin denn anfangen wolle nach dem Studium, antwortete diese völlig verblüfft: „Nein, ich geh natürlich zuerst in die Hausgeburtshilfe zu den normalen Geburten. Ins Krankenhaus traue ich mich erst mit mehr Erfahrung!“ Dieses Statement und die Sicht der Dinge haben mich sehr beeindruckt. Es schien dort normaler als bei uns zu sein, Kinder zu Hause zu gebären. Eine Geburt von vornherein in einem Krankenhaus zu planen, geschah hauptsächlich bei Auffälligkeiten bzw. existierenden Vorerkrankungen. Ansonsten blieben die Frauen lieber zu Hause, wo es sicher ist. Paradoxe Weltsicht, so konträr zu dem was ich erlebte.
Krankenhäuser sind für mich Maschinen und so dankbar ich über medizinischen Fortschritt und schulmedizinische Möglichkeiten bin, so wenig finde ich, dass normale Geburten an diesen Ort gehören.
Nach meinem Examen hatte ich den Plan, nach Gambia zu gehen. Meine Pläne wurden durchkreuzt von meinem ersten Kind. Zwei weitere wunderbare Hausgeburten mit einer sehr starken tollen Hausgeburtshebamme folgten (DANKE). Zwischen den Geburten war ich freiberuflich in allen Bereichen der Hebammentätigkeit aktiv, mit dem Verzicht auf die Geburtshilfe wegen der Rufbereitschaft / Schichtdienst.
Nach den Geburten meiner Kinder stand ich vor der Entscheidung, meine Berufstätigkeit wieder in der Freiberuflichkeit aufzunehmen oder ein Studium zu beginnen. Der Weg zurück in die Freiberuflichkeit hätte für mich zu der Zeit bedeutet, ohne Geburtshilfe zu arbeiten. Ich entschied mich für ein Studium. So begann ich nun interdisziplinäre Gesundheitsversorgung und Management zu studieren, mit dem Ziel, die Situationen für Frauen und Hebammen auf unterschiedlichen Ebenen zu verbessern.
Warum nun außerklinische Geburtshilfe? Mich dafür einzusetzen, dass möglichst mehr Frauen die Möglichkeit haben, ihren Geburtsort frei und informiert zu wählen, entschied ich mich, weil ich wusste, dass es gut und richtig ist. Weil ich fühle, dass Geburt einen geschützten Raum braucht, welcher den gesunden Übergang in die Welt unterstützt. Dieser Raum sollte allen Gebärenden friedlich und ungestört zur Verfügung stehen. So lag es durch mein Studium nahe, ein Geburtshaus mit zu eröffnen und so kam ich in dieses Team.
Ich möchte Hebammenarbeit auf Augenhöhe mit der Frau der Schwangeren als Expertin für ihren Körper. Ich bin gegen Machtmissbrauch und möchte nicht mehr Teil davon sein.